Pius-Hospital setzt EU-gefördertes Projekt mit deutschen und niederländischen Partnern um
In ländlichen Regionen fehlt es oft an Ärzten. Vor allem Patienten mit seltenen Erkrankungen nehmen deshalb weite Reisen zu Spezialisten auf sich. Übersehen wird dabei, dass im Nachbarland direkt hinter der Grenze oftmals die gewünschten Experten zu finden sind. Im Projekt „Common Care“ wird daher in den kommenden Jahren für die deutsch-niederländische Ems-Dollart-Region eine grenzüberschreitende, medizinische Kooperation aufgebaut. Das Pius-Hospital leitet dieses INTERREG V A-EU-Projekt.
Der Gedanke, in ein Nachbarland zu fahren, um sich dort medizinisch versorgen zu lassen, ist vielen Patientinnen und Patienten nach wie vor fremd, obwohl dies innerhalb der EU heute theoretisch schon möglich ist. Hier setzt das Projekt Common Care unter der Leitung des Pius-Hospitals Oldenburg an. Das im Mai 2018 gestartete Vorhaben hat das Ziel, eine nachhaltige Infrastruktur für ein grenzüberschreitendes Gesundheitswesen so zu entwickeln, dass dieses von Patienten der Ems-Dollart-Region sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden effektiv genutzt werden kann. Dafür arbeiten mehrere Gesundheitseinrichtungen im Norden der Niederlande und in Nord-West-Niedersachsen in den Bereichen Prävention, Diagnostik und Behandlung zusammen. Neben dem Pius-Hospital Oldenburg beteiligen sich das Klinikum Leer, das Universitair Medisch Centrum Groningen (UMCG), das Ommelander Ziekenhuis Groningen (OZG) und die Treant Zorggroep.
„Common Care“ bedeutet frei übersetzt „Gemeinsame Versorgung“, was in diesem Fall heißt, dass deutsche und niederländische Gesundheitseinrichtungen gemeinsam für Patienten zwischen Groningen und Oldenburg da sind. Auf diese Weise können Versorgungsengpässe grenzüberschreitend ausgeglichen und lange Reisen zu hochspezialisierten Einrichtungen, aber auch zu Fachärzten bestimmter Fachrichtungen im eigenen Land vermieden werden. So mangelt es auf niederländischer Seite beispielsweise an Gastroenterologen und Kinderärzten, auf deutscher Seite etwa an Rheumatologen. In dem Projekt wird erarbeitet, wie sich Versorgungslücken nicht nur durch den Austausch von Patienten, sondern auch durch medizinisches Fachpersonal schließen lassen, um eine 360-Grad-Versorgung wie in grenzfernen Gebieten zu realisieren.
Das Projekt startet zunächst mit der Realisierung von zwei euregionalen Behandlungspfaden in der Orthopädie und der Strahlentherapie – mit direktem Austausch von Patienten in die Nachbarländer. „Wir bauen die Zusammenarbeit zunächst bei einer kleinen Anzahl von Krankheitsbilden auf, bei denen eine Kooperation nahe liegt“, sagt Sabine Kretschmar, Projektkoordinatorin von Common Care im Pius-Hospital. „Etwa bei der Behandlung bestimmter Hirntumore bei Kindern.“ Hirntumore werden im Pius-Hospital vielfach strahlentherapeutisch behandelt. Für Kinder, deren Gehirne sich schließlich noch in der Entwicklung befinden, muss das umliegende gesunde Gewebe jedoch maximal geschont werden. Dies lässt sich durch eine Bestrahlung mit Protonen besser erreichen als mit den sonst für die Erwachsenenbestrahlungen üblichen Photonen. Am UMCG in Groningen ist vor mehr als einem Jahr eine solche Protonentherapieanlage in Betrieb genommen worden. „Kindern, die wir gemeinsam mit dem Elisabeth-Kinderkrankenhaus in Oldenburg behandeln, werden wir zukünftig eine solche Protonentherapie in Groningen anbieten können“, sagt Dr. Kay Willborn, Direktor der Universitätsklinik für Medizinische Strahlenphysik im Pius-Hospital. Bislang mussten Eltern mit ihren Kindern für eine solche Bestrahlung bis zum Westdeutschen Protonentherapiezentrum in Essen fahren – fast doppelt so weit.
Von Common Care sollen darüber hinaus Menschen aus der deutschen Grenzregion profitieren, die von der Bluterkrankheit betroffen sind und zugleich oder aufgrund dessen ein neues Hüft- oder Kniegelenk benötigen. Für diesen Spezialeingriff mussten Patienten aus dem Nordwesten bislang weite Wege in Kauf nehmen, obschon das Universitair Medisch Centrum Groningen ebenfalls auf solche Eingriffe spezialisiert und zugleich viel schneller zu erreichen ist. Eine Behandlung in Groningen kann den Reiseaufwand minimieren und die Patienten näher zu Hause versorgen.
Gleichzeitig sollen niederländische Patienten mit einer Infektion an einer implantierten Hüftgelenksprothese profitieren. Zwar sind die niederländischen Kliniken sehr gut für die Bekämpfung von Infektionen aufgestellt, die Nachsorge jedoch ist ausbaufähig. In der Regel wird der Patient schon wenige Tage, nachdem die Infektion abgeklungen ist, nach Hause geschickt. Rehabilitationsmaßnahmen oder auch ambulante Physiotherapie gibt es in den Niederlanden, anders als in Deutschland, so gut wie gar nicht. „Die aber ist wichtig, um Patienten schnell wieder mobil zu machen“, sagt Prof. Dr. Djordje Lazovic, Direktor der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im Pius-Hospital. Künftig sollen deshalb Patienten von den Krankenhäuern in Groningen zum Reha-Zentrum am Meer in Bad Zwischenahn überwiesen werden, um dort eine adäquate Rehabilitation zu erhalten. Im Rahmen von Common Care wird das Personal in Bad Zwischenahn derzeit speziell in der Nachbehandlung von Menschen mit Infektionen im Bereich der Hüftprothese geschult. „Insofern ist es eine der großen Leistungen von Common Care, dass wir an allen deutschen und niederländischen Standorten die Behandlung der Patienten vereinheitlichen, indem wir gemeinsame Standards, sogenannte Behandlungsprotokolle, ausarbeiten“, sagt Sabine Kretschmar. Weitere wichtige Aufgaben sind außerdem, die Kostenübernahme der Behandlung im Nachbarland durch die Krankenversicherungen sicherzustellen und Sprachbarrieren zwischen Behandlern und Behandelten abzubauen. Die Entwicklung der grenzüberschreitenden Behandlungspfade und -protokolle und deren Refinanzierung soll nach Abschluss des Projekts im Mai 2021 die Basis für weitere Erkrankungen und Therapien verschiedener Fachdisziplinen sein.
Das Projekt wird im Rahmen des INTERREG-Programms von der Europäischen Union und den INTERREG-Partnern finanziell unterstützt.