Das Pius-Hospital Oldenburg hat ein umfassendes Delirmanagement aufgebaut und optimiert damit die Patientenversorgung. Das postoperative Delirium, d.h. ein plötzlich beginnender Verwirrtheitszustand, der im Extremfall bis zu mehreren Wochen andauern kann, ist ein zunehmendes Phänomen im klinischen Alltag. Insbesondere Patientinnen und Patienten über 65 und solche mit bestimmten Risikofaktoren benötigen spezielle Aufmerksamkeit. Hierfür sorgt im Pius-Hospital ein multiprofessionell aufgestelltes Team, das Strategien zur Vermeidung und Bewältigung des Syndroms erarbeitet. Dabei arbeitet das Krankenhaus im Rahmen einer Kooperation mit der AOK Niedersachsen zusammen.
Ein postoperatives Delir kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden. Neben der Anästhesie und Medikamenten, die während und nach der Operation verwendet werden, können auch Schmerzen oder Stress, zum Beispiel durch die ungewohnte Situation im Krankenhaus, auslösend wirken. „Auch, wenn ein postoperatives Delir im Grunde genommen jeden treffen kann, sind meist ältere Menschen davon betroffen“, weiß Heike Bocklage, Pflegerische Abteilungsleiterin und mitverantwortlich für das Delirmanagement des Krankenhauses. „Wenn dann auch noch weitere Vorerkrankungen, beispielsweise eine Demenz, hinzukommen, muss man besonders aufmerksam sein. Da sich Patienten mit einem Delir oftmals teilnahmslos verhalten, besteht das Risiko, dies auf die Demenzerkrankung zurückzuführen.“ Neben Verwirrtheit, Unruhe, Verständigungsschwierigkeiten und Benommenheit können auch Halluzinationen und aggressives Verhalten ein Delir kennzeichnen. „Wird es nicht schnell erkannt und Maßnahmen ergriffen, besteht die Gefahr, dass aus einem Delir ein dauerhafter Zustand wird und die Lebensqualität der Betroffenen massiv einschränkt“, berichtet Franz Letens, Oberarzt in der Klinik für Anästhesie und interdisziplinäre Intensivmedizin. „Das Delir nach einer Operation ist kein neues Phänomen. Aber inzwischen taucht es durch die älter werdenden Menschen vermehrt auf, da das Gehirn im Alter an Flexibilität verliert. Außerdem gab es lange Zeit wenige Datenerhebungen zur Prävalenz.“, so Letens weiter. „Wurden die Patienten mit Delir früher eher ruhiggestellt, geht man heutzutage vorbeugend, ganzheitlich und berufsübergreifend an die Sache heran.“ Das Ziel ist es, langfristig die Anzahl der Delire im einstelligen Prozentbereich zu halten.
Antidelir-Konzept
Vor diesem Hintergrund werden im Pius-Hospital Patienten im Zuge der stationären Aufnahme gescreent. Das heißt, ihr individuelles Risiko wird anhand ihrer Angaben, Gesundheitsdaten und Vorerkrankungen evaluiert. Patienten, bei denen hierdurch ein erhöhtes Risiko festgestellt wird, werden während ihres Aufenthalts besonders betreut. So kann auf Risiko-Faktoren direkt Einfluss genommen werden. Neben der Art und Tiefe der Narkose und dem Medikamentenmanagement mit einer wirkungsvollen Schmerzbehandlung gibt es ein ganzes Paket an Maßnahmen, die ergriffen werden können. Hierfür hat das Krankenhaus in den vergangenen Monaten sieben Delirbegleiterinnen ausgebildet. Dabei handelt es sich um erfahrene Mitarbeiterinnen aus der Pflege, die sich umfassend darin geschult haben, ein Delir zu erkennen bzw. Gegenmaßnahmen zu ergreifen, sollte ein postoperativer Verwirrtheitszustand auftreten. „Das wirksamste Mittel ist die menschliche Zuwendung. Deshalb ist es wichtig, neben einer festen Ansprechpartnerin aus dem Delirmanagement auch die Angehörigen eng mit einzubeziehen“, berichtet Heike Bocklage. Regelmäßige Besuche von Familie und Freunden sowie vertraute Gegenstände im Zimmer können helfen, die Orientierung zu fördern. Außerdem sorgen die Behandelnden dafür, dass die Patienten sich mobilisieren, orientieren können und wieder in einen geregelten Biorhythmus hineinkommen, nachts gut schlafen können und tagsüber aktiv sind. Hier kann zum Beispiel schon eine Uhr im Sichtfeld unterstützend sein, wenn Patienten nicht einordnen können, ob es gerade Tag oder Nacht ist.
Das Delirmanagement im Pius-Hospital wird im Rahmen einer Kooperation mit der Krankenkasse AOK Niedersachsen durchgeführt (sog. Qualitätsvertrag). Im ersten Schritt wurden für sechs Monate relevante Daten gesammelt, pseudoanonymisiert und bewertet. – Von AOK-Patientinnen und -Patienten ab dem 65. Lebensjahr, die für eine geplante OP im Krankenhaus aufgenommen wurden. Währenddessen fanden bereits interne Schulungen statt, um das Bewusstsein für das Thema Delir zu stärken und intraprofessionelles Wissen und klinikübergreifende Kompetenzen aufzubauen. Daran schloss sich eine Interventionsphase an. In dieser erarbeitet das Team Maßnahmen, die das Delir/-risiko positiv beeinflussen bzw. ein Delir frühzeitig erkennen lassen wie z.B. ein prä- und postoperatives Delir- Screening, orientierende Maßnahmen, Medikamentenmanagement etc. Die Ziele sind eine Verbesserung der Versorgung dieser vulnerablen Patientengruppe und die Erhöhung der Handlungssicherheit in komplexen Situationen. Das Projekt wird außerdem wissenschaftlich durch das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen begleitet.
Das klinik- und berufsübergreifende Kernprojektteam besteht aus Heike Bocklage (Pflegerische Abteilungsleiterin), Julian Seidel (Advanced Practice Nurse - Weaning / Intensiv, Koordinator für Pflegeexpertise), Heike Kuhlen (Leiterin der Abteilung für Qualitätsmanagement), Franz Letens (Facharzt für Anästhesie und spezielle anästhesiologische Intensivmedizin), Dr. med. Christoph Erdbories (Facharzt für Chirurgie, Anästhesie, spezielle anästhesiologische und chirurgische Intensivmedizin) und Dr. med. Kirsten Habbinga (Direktorin der Klinik für interdisziplinäre Notfallmedizin).